Der Einfluss der Ahnen auf heutige Konflikte, Ängste oder Widerstände – wie Sie ihn erkennen und nutzen

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Fünf Wege, aus dem emotionalen Familienerbe erfolgreich auszusteigen

Schon Freud beschäftigte sich mit dem Thema „transgenerationale Weitergabe“ oder „Gefühlserbschaft“. Bezogen auf Traumata, z.B. aus Krieg- und Fluchterlebnissen, ist diese Weitergabe von Generation zu Generation schon lange bekannt und wird in Therapien mit Kindern oder Enkeln von Flüchtlingen bearbeitet.

Was ist jedoch mit anderen Erlebnissen? Woher kommen Prüfungsangst, Geldprobleme oder Ablehnung bestimmter Verhaltensweisen in einer Familie? In manchen Familien heißt es genau so: Er oder sie ist „ver-rückt“, lebt also ein anderes Leben als die anderen Familienmitglieder und wird dafür ausgegrenzt oder lächerlich gemacht. Andere wiederum trauen sich nicht, ihren Lebenswunsch zu realisieren, um Teil der Familie zu bleiben.

Verschiedene Wissenschaftler:innen haben sich in ihren Büchern mit dem Thema beschäftigt, so z.B. Anne Ancelin Schützenberger oder Peter Teuschel. Sie zeigen anhand von Fällen aus ihrer Praxis, dass es tatsächlich ererbte Verhaltensweisen und Gefühle gibt.

Die folgenden fünf Wege zeigen, wie man sie erkennt und aus dem Einfluss der Ahnen herauskommt.

  1. Ein aktuelles oder schon lange vorhandenes Problem erkennen durch Fragen an sich selbst.

Was stoppt mich immer wieder? Was traue ich mir nicht zu? Wo bleibe ich regelmäßig hängen? Bin ich immer wieder in finanziellen Schwierigkeiten oder habe ich immer wieder Auseinandersetzungen? Helfe ich ständig anderen Menschen, insbesondere Familienmitgliedern, und habe kaum Zeit für mich und meine Bedürfnisse? Erlaube ich mir etwas nicht, weil meine Eltern es auch nicht hatten? Gibt es aktuell etwas, was ich endlich ändern möchte, z.B. meinen Traumberuf ergreifen?

Wenn ich das herausgefunden habe, kann ich den nächsten Schritt gehen.

  1. Akzeptanz, dass Ahnen Einfluss auf mein Leben und meine Familie nehmen, ohne dass ich sie kennengelernt habe.

Es ist nicht esoterisch oder die Idee von „Spinnern“: Unsere Vorfahren können bis drei, vier oder mehr Generationen zurück Einfluss auf unser Leben haben. Dazu gehört zum Beispiel der prägende Wert einer Familie: Sicherheit oder Unabhängigkeit? Besitz oder „Produktion“ (Teuschel)? Wenn Sicherheit ein wichtiger Wert ist, werden in einer Familie die meisten Beamte oder Angestellte in großen Konzernen, wo für Mitarbeiter gesorgt wird. Wenn dann ein Familienmitglied lieber selbständig sein möchte (Wert Unabhängigkeit oder Freiheit), trifft es auf Unverständnis, wird zum Außen-Seiter, wenn er oder sie seine Wünsche umsetzt. Oder traut sich den Weg in die Selbständigkeit nicht zu und verzichtet auf seinen Traum. Ebenso kann das Thema Besitz in einer Familie prägend sein (er wird stetig gepflegt und weitervererbt). Dazu gehört das Wohnen in der Nähe der Eltern, das gegenseitige Kümmern – und wenn jemandem das nicht wichtig ist, sondern lieber in verschiedenen Orten wohnt, umzieht, ohne Eigentum bleibt, ist er oder erneut „seltsam“. In „Wander“-Familien wiederum würde jemand mit dem Wunsch nach Sesshaftigkeit, nach Wurzeln, auf Erstaunen stoßen.

Was hat das nun mit den Ahnen zu tun? Wenn man herausfindet, dass die eigenen Wünsche zwar die Eltern und Geschwister irritieren, es jedoch jemanden (Großmutter, Urgroßvater, eine Urgroßtante…) in früheren Generationen gab, die ähnlich war, kann man die eigenen Wünsche zuordnen. Oft sind das Menschen, über die in der Familie nicht oder nur wenig gesprochen wurde – weil sie aus Sicht der anderen zu außer-gewöhnlich waren, weil man sich für ihr Verhalten geschämt hat oder weil sie ein Tabu waren. Diese Ahnen können heute Menschen stärken, da sie sich in der jeweiligen Person wiedererkennen und sie indirekt ermutigen, ihren Weg zu gehen. Dafür benötigt es die Akzeptanz des Einflusses von Ahnen auf heute.

  1. Mit Offenheit und Aufmerksamkeit herausfinden, welche außer-gewöhnliche Persönlichkeit in der Familie war, der ich ähnlich sein könnte.

Sofern möglich, können Gespräche mit noch lebenden Angehörigen geführt werden: Wen gab es da, über den oder die wenig oder gar nicht gesprochen wurde? Oder was haben die Älteren von anderen gehört? Kinder bekommen sehr viel mehr mit, als Erwachsene denken – und vieles fällt ihnen auch als älterer Mensch wieder ein. Eine Tante, die immer bunt gekleidet war und mit den Kindern getobt hat, was damals ungewöhnlich war? Ein Künstler, der in einer alten Hütte gelebt hat, obwohl die Familie wohlhabend war und von ihm erwartet hat, Geld zu verdienen? Eine verschwundene Schwester, über die nicht gesprochen werden durfte?

Auch Fotos sagen eine Menge aus: Wie hat die Familie damals gelebt? Wieso war plötzlich ein anderes Haus oder eine andere Wohnung auf den Bildern? Warum fehlt ein Bruder auf Familienfotos? Oder taucht später jemand auf, den man noch nie gesehen hat? Auch das Recherchieren in Gemeinde- oder Landesarchiven hilft, Ahnen wiederzufinden und „kennenzulernen“.

Ein gutes Instrument wird im Coaching genutzt: Das Genosoziogramm. Hier wird der Familienstammbaum erstellt und neben den üblichen Daten Berufe, Hobbys, Eigenschaften, Heiraten und Wohnorte ergänzt. Auch Verbindungen, positiv wie negativ, werden dargestellt. Daneben stellt die Coach die jeweilige geschichtliche, gesellschaftliche und politische Situation, unter der die Ahnen damals gelebt haben bzw. leben mussten. So fand z.B. Ancelin Schützenberger heraus, dass sich Kriegserlebnisse von mehreren Generationen (Großvater, Vater und Sohn) regelrecht wiederholten, und auch der Enkel noch betroffen war.

  1. Herausfinden, um welchen Einfluss es geht und wie er sich auf die familiären Einstellungen, Werte und Entscheidungen auswirkt.

Menschen werden aus unterschiedlichen Gründen aus Familien ausgegrenzt, früher aufgrund sozialer Zwänge mehr als heute. Aber auch heute noch werden Themen verschwiegen, weil sich Menschen für ihre Familienmitglieder schämen (z.B. bei Gefängnisaufenthalten, Diebstahl o.ä.) oder sich mit-schuldig fühlen, wenn jemand andere betrogen hat. Weitere Einflüsse können durch Erwartungen entstehen, die Eltern an ihre Kinder haben („bei uns werden alle Männer Beamte“) oder besitzergreifendes Verhalten von Eltern in vorherigen Generationen (eine Tochter musste bei den Eltern bleiben und durfte keine eigene Familie haben), das sich heute wiederholt: Eine Frau fühlt sich verpflichtet, sich trotz eigener Familie und Beruf ständig um die alten Eltern zu kümmern und vielleicht sogar dort wieder einzuziehen.

Weitere Einflüsse sind Tabus, Legenden, Geheimnisse und Gewalt. Über die Homosexualität eines Familienmitglieds darf ebenso wenig gesprochen werden wie über einen ausgewanderten Onkel oder eine nicht standesgemäß verheiratete Tante. Auch über Versagen (z.B. eine Insolvenz des Familienunternehmens) und Schmerz (der erste Sohn und Hoferbe der Großeltern starb schon als Kind und durfte nie mehr erwähnt werden, so dass der heute älteste Sohn jahrelang nicht wusste, dass es vor ihm einen Bruder gab) wird oft nicht gesprochen. Weitere Beispiele sind uneheliche Kinder, die in der Familie einer verheirateten Schwester oder bei den Großeltern als „Kind“ aufwuchsen oder Adoptivkinder, denen ihre wahre Herkunft verschwiegen wurde, jedoch anders als leibliche Kinder behandelt wurden.

Wenn es in einer Familie – auch vor mehreren Generationen – eine Pleite oder einen verschwenderischen Urgroßvater gab, was zu finanziellen Problemen für die Familie führte, kann es sein, dass noch heute Risiken vermieden werden oder Familienmitglieder Angst haben zu verarmen, obwohl sie sehr wohlhabend und abgesichert sind.

  1. Alles zusammenfügen und ggf. mit einer Coachin oder einem Therapeuten sprechen, wenn der Wunsch nach Veränderung, mehr Mut oder eigener Abgrenzung besteht.

Wer die Vermutung hat, dass die Ahnen Einfluss auf jetzt bestehende Probleme haben, kann sich mit oder ohne Unterstützung damit beschäftigen und nach Los-Lösungen suchen. Abschließend ein paar Beispiele aus meiner eigenen Familie und von Coachees:

  1. Das uneheliche Kind einer Großmutter wird als Kind der frisch verheirateten (ebenfalls unehelichen) Tochter aufgezogen. Das erste Kind dieser Tochter, wieder ein Mädchen, erfährt erst als Zehnjährige von anderen Kindern auf der Straße, dass sie selbst das älteste Kind ist und ihre „große Schwester“ in Wirklichkeit ihre Tante ist (wenn auch nur zwei Jahre älter). Auch die später geborenen Brüder erfahren davon nichts. Diese ver-rückten Geschwister-positionen werden durch den Zwang zum Schweigen, durch eine geheimnisvolle, fast paranoide Grundstimmung in die nächsten Generationen getragen und führen dort zu Misstrauen, Verschlossenheit, Verunsicherung und in einem Fall zu totaler Abgrenzung von der Familie.
  2. Das zweite Kind einer Familie wird zur Adoption freigegeben, da der Vater die Vaterschaft nicht anerkennt. Die Mutter verbirgt die Schwangerschaft, niemand erfuhr davon, dass es dieses Kind gab. Später werden zwei weitere Kinder geboren, die mit dem ältesten Kind zusammen aufwachsen und immer den Eindruck haben, dass zwischen dem ersten und dem zweiten Kind jemand fehlt, was nicht thematisiert werden darf. Die Mutter berichtet erst zum Ende ihres Lebens von diesem vierten Kind, obwohl sie zeitlebens täglich an es gedacht hat, weil sie es nochmal sehen wollte. Die drei anderen Kinder haben stets Unruhe, eine hohe Impulsivität und Verschlossenheit an der Mutter wahrgenommen, die sie sich nicht erklären konnten und sie selbst beeinflusst hat.
  3. Der Großvater ist selbständig und verstirbt früh, ohne seine 28j-ährige Frau und den fünfjährigen Sohn abgesichert zu haben. Sie müssen beim Bruder des Großvaters, der den Handwerksbetrieb übernommen hat, jede Woche um Geld bitten. Das führt zu Angst vor Verarmung beim Sohn als Erwachsener. Er heiratet eine Beamtentochter, der Sicherheit wichtig ist, und verzichtet auf seinen Wunsch, sich wie sein Vater selbständig zu machen. Zeitlebens trauert er diesem Wunsch hinterher, so dass sich zumindest eins seiner Kinder über Jahre nicht erlaubt, sich selbständig zu machen und ebenfalls – unbewusste - Angst vor Verarmung hat. Nach dem Erkennen der Gründe und Einflüsse konnte dieses Kind später Mut entwickeln und doch den Weg in die Selbständigkeit gehen.

Abschließend möchte ich Sie ermuntern, sich mit Ihren Ahnen zu beschäftigen. Es lohnt sich! Vielleicht können Sie sich beruflich nicht gut durchsetzen, weil Sie viel autoritäres Verhalten bei Ihren Eltern und Großeltern erlebt haben und daher dieses Verhalten ablehnen? Wenn Sie im Coaching erarbeiten, welche positive Seite Autorität haben kann, können Sie Ihr Verhalten ändern. Dazu gibt es viele weitere Beispiele, die einen gewünschten Wandel ermöglichen.

Und nicht zuletzt: Es gibt auch den Stolz auf die eigene Familie und ihre Mitglieder: Was sie alles vollbracht haben, wie sie die Familie beschützt oder Vermögen aufgebaut haben, wie sie durch Kreativität etwas entwickelt haben, wovon alle noch heute profitieren, in welchen Situationen sie Mut hatten…

Forschen Sie nach und freuen Sie sich über jedes einzelne Familienmitglied!

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