Sechs Wege, familiäre Muster und Prägungen zu erkennen und zu bearbeiten

von Anke Lüneburg

Die eigene Familie ist sehr prägend. Kinder nehmen von Beginn an unbewusst die Botschaften und Wünsche der Eltern und anderer Bezugspersonen auf und übernehmen Muster und Rollen, oft sogar Gefühle und Erlebnisse der Ahnen. Wie kann man sie erkennen? Das zeigen die folgenden sechs Wege.

  1. Erste Hinweise für familiäre Muster

Rollen wie die „Ersatz-Mama“, der „Clown“ oder der „Störenfried“, der Finger in familiäre Wunden legt behalten manche Menschen ihr Leben lang. Auch Botschaften wie „nur Leistung zählt“ oder „in unserer Familie werden alle Arzt“ werden ohne Reflexion übernommen und ins eigene Leben übertragen. Aussagen wie „unser Sohn übernimmt natürlich den Betrieb“ (auch wenn er nicht will) oder „Zähne zusammenbeißen“ prägen Kinder bis ins Erwachsenenalter. Manche fühlen sich zu kurz gekommen oder haben schlimme Erfahrungen mit den Eltern gemacht. Manche Eltern übertragen ihre eigenen unerfüllten Wünsche auf ihre Kinder und reagieren negativ oder mit Druck, wenn die Kinder ihren eigenen Weg gehen wollen. Die psychologische Theorie der Transaktionsanalyse (Transaktion = Kommunikation) zeigt die Verbindung zwischen der Kommunikation und dem Verhalten von Menschen und ihren inneren Prozessen. Ihr Entwickler Eric Berne nennt diese Wünsche und Vorgaben „Skripte“, also unbewusste Drehbücher, die Kinder mitbekommen haben und umsetzen. Ein solches Drehbuch kann Lebensfreude, Offenheit und Neugier enthalten – oder eben Misstrauen, Skepsis und (zu) hohe Leistung. Durch Coachingarbeit auf Basis der TA können die Skripte erkannt und bearbeitet werden, so dass sich ein neuer Weg im Leben findet.

  1. Familiäre Botschaften und Aufträge

Manche Botschaften der Familie beziehen sich auf Erwartungen an Berufe und Status im Leben, den ihre Kinder erreichen sollen; andere sind emotionale Aufträge der Ahnen. Dazu gehören ungelöste Lebensthemen der Eltern oder Großeltern, z.B. „nie wieder arm sein“ nach einer Flucht oder „traue niemandem“ nach dem Leben in Verstecken während einer Diktatur. Emotionale Aufträge können bindend sein („bleib bei mir, lass mich nicht allein, gründe keine Familie, ich bin so schwach“) oder nicht-bindend („komm allein klar, werde schnell selbständig, ich kann mich nicht um dich kümmern, du bist eine Last“). Erlebnisse aus Krieg, Flucht und Leben in Diktaturen können entweder zu hoher Loyalität und Treueversprechen führen („wir sind eine heile Familie, eine sichere Burg“) oder zum Wegstoßen der Kinder, da sie nicht stören, nicht abhängig und keine Bedürfnisse haben sollen. Selbst in wohlhabenden Familien werden die emotionalen Bedürfnisse der Kinder nicht erfüllt, dafür werden sie mit materiellen Gegenständen überschüttet – die sogenannte Wohlstandsverwahrlosung. Die Aufträge und Muster übertragen sich von Generation zu Generation, wenn sie nicht bearbeitet werden (transgenerationale Weitergabe), ebenso wie Erfahrungen und Gefühle. Die relativ neue Wissenschaft der Epigenetik zeigt, dass uns heute Erlebnisse und Gefühle unserer Ahnen aus mehreren Generationen vor uns beeinflussen können. Hier lohnt es sich, ein Genogramm gemeinsam mit einem Coach zu erstellen, um für sich Klarheit zu schaffen.

  1. Übertragung der Rollen und Muster in die Arbeitswelt

Die unbewussten und meist nicht wahrgenommenen Muster und Aufträge übertragen sich auch in die Arbeitswelt. Wenn ein Vorgesetzter an den eigenen Vater und dessen Verhalten erinnert, kann es zu innerem Widerstand und sogar zu Konflikten kommen. In meinen ersten – unreflektierten – Berufsjahren ging es mir auch so: Wenn ein älterer männlicher Chef autoritär führte, ging ich in den Widerstand, geriet mit dem jeweiligen Vorgesetzten aneinander und verließ meist irgendwann meine Stelle. Heute kenne ich den Grund: Wer als Kind immer wieder zu hören oder zu spüren bekommt, dass er oder sie „nichts taugt“ und „es nie lernen wird“, kann kein gesundes Selbstwertgefühl entwickeln. Der Eindruck der Unzulänglichkeit festigt sich bei autoritären Führungskräften: „Ich bin nicht gut genug“ – selbst wenn Menschen in früheren Jobs Menschen um sich hatten, die sie gestützt und inspiriert haben. Wer in der Kindheit nicht lernen konnte, seinen eigenen Wert zu entwickeln, dem fällt es auch später schwer, seinen Selbst-Wert zu erkennen. Dazu tragen klassische Hierarchien und Teams bei, die an die Familie erinnern. So rivalisiert eine Mitarbeiterin möglicherweise mit einem Kollegen um die Anerkennung der Vorgesetzten (und diese fördert das noch) oder ein anderer Mitarbeiter empfindet klare Anweisungen als zu autoritär, da er unbewusst seinen Vater vor Augen hat. Insbesondere in sehr hierarchischen Organisationen wie Verwaltungen, Kirchen oder Armeen kann es autoritär erzogenen Menschen schwerfallen, dort gut zu arbeiten, da es sie zu stark an ihre Kindheit erinnert und sie sich Freiraum wünschen. Andere Menschen geben frühe Erfahrungen einfach weiter: So gehen manche Führungskräfte hart mit ihren Mitarbeitern um ohne zu reflektieren, dass sie als Kind genauso schlecht behandelt wurden. Auch wer an seinem Arbeitsplatz bleibt, obwohl er unzufrieden ist oder sogar schlecht behandelt wird, hat häufig ein Defizit an Anerkennung und Wertschätzung aus der Kindheit und akzeptiert daher den (schlechten) Umgang mit ihm. Wer lernt, sie selbst zu schätzen und aus einer anderen Eben auf seine eigene Situation zu sehen, kann den Weg zu einem besseren Arbeitsplatz gehen.

  1. Umgang mit Konflikten

Die Vermeidung von Konflikten und das eigene Harmoniebedürfnis kommt aus dem Elternhaus: Wenn dort nie gestritten wurde, um die Mutter nicht zu stören oder die Autorität des Vaters nicht in Frage zu stellen, ist es für einen inzwischen erwachsenen Sohn schwer, Konflikte auszuhalten – im Beruf und im Privatleben. Er verzichtet ggf. lieber auf seine Wünsche oder beharrt als Fachmann nicht auf seinem Wissen, als in einen Streit zu gehen. Andere versuchen stetig bei Konflikten zu vermitteln, da sie auch als Kind zwischen den Eltern oder Geschwistern vermitteln mussten – ohne dass sie je hinterfragt haben, wieviel Energie es sie kostete (und kostet). Auch hier hilft Selbstreflexion im Coaching mit anschließendem Erlernen von Tools, die die eigene Durchsetzungskraft stärken und eine klare Kommunikation verbessern können.

  1. Rollen von Königinnen und Prinzen

Wenn Eltern ihre Kinder zu sehr verwöhnen und stetig betonen, dass sie einfach großartig sind, entsteht bei einem Kind das Muster „Ich bin größer, besser und wichtiger als alle anderen“ und sieht sich in der Rolle einer Königin oder eines Prinzen. Auch diese Muster können zu beruflichen Schwierigkeiten führen, wenn jemand nicht gelernt hat, dass er etwas leisten und erlernen muss oder dass er bestimmte Fähigkeiten (noch) nicht oder nicht gut kann. Die Reaktion von „Prinzen“ auf Anforderungen ist häufig das Verlassen des Unternehmens, anstatt sich mit der Situation, seinen Fähigkeiten und sich selbst auseinanderzusetzen. Ein Schritt zur Wahrnehmung der eigenen „Normalität“ ist das Lernen von Selbstreflexion durch spezielle Coaching-Angebote der Unternehmen und Verwaltungen – die schließlich ihre Auszubildenden und jungen Angestellten behalten möchten.

  1. Einfühlungsvermögen und Empathie

Wer Eltern hatte, die sich auf ihn oder sie als Kind eingelassen haben und helfen konnten, seine oder ihre innere Welt zu verstehen, der kann sich als Erwachsener auf andere einlassen und versuchen, ihre Welt zu verstehen – oder es dann lernen. Insbesondere als Führungskraft ist diese Kompetenz wichtig, um konfliktfähig zu sein und gut mit Teams und Kollegen zusammenzuarbeiten. Das Zauberwort heißt Perspektivwechsel: Auch wenn mir die Welt einer Kollegin fremd ist, kann ich versuchen, ihre Perspektive einzunehmen, ihr Verhalten und ihre Kommunikation zu verstehen – selbst wenn ich nicht einverstanden bin. Menschen ohne Empathie bauen sich Stereotypen anstatt die individuelle Persönlichkeit zu sehen, verstehen somit andere nicht und geraten immer wieder in Konflikte. Im schlimmsten Fall verlieren sie durch ihren Mangel an Empathie ihre Jobs, weil niemand mehr mit ihnen zusammenarbeiten will.

Wer jedoch seine Kindheitsrollen und -muster reflektiert und gelernt hat, sich von Erwartungen und Aufträgen zu lösen und die Vergangenheit loszulassen, kann seine alten Muster verändern.

In Unternehmen und Verwaltungen können zusätzlich eine wertschätzende Unternehmenskultur, das Angebot von Mentoring und Coaching sowie Führungskräfte mit einer inneren Haltung des Förderns und Forderns, Stützens und Schützens dazu beitragen, erfolgreich aus den erlernten Rollen und Mustern auszusteigen.

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