Touristiker als Psychologen – warum es im Tourismusmarketing so wichtig ist, Motive, Wünsche und Sehnsüchte von Urlaubern zu kennen
von Anke Lüneburg
Früher war alles einfacher: Hotels und Ferienwohnungsvermieter haben Anzeigen in ihren lokalen oder regionalen Gastgeberverzeichnissen geschaltet, vielleicht noch in einer überregionalen Tageszeitung – und die Urlauber kamen von allein. Nicht unbedingt rund ums Jahr, aber 100-120 Tage Auslastung je nach Region war schon „drin“. Auch die Tourismusorte haben Anzeigen geschaltet und sind auf Messen gegangen. Vor Ort hatten sie dann immerhin Informationen über den Herkunftsort, das Alter oder den Familienstand – mehr nicht. Später kam der Internetauftritt dazu, dann die eine oder andere Pauschale – aber immer blieb das Marketing allgemein und versuchte, alle potentiellen Gästetypen anzusprechen.
Reiseerfahrene und anspruchsvolle Urlauber heute
Durch das große Angebot an touristischen Dienstleistungen und Produkten weltweit, die hohe Reiseerfahrung der Gäste, deren Ansprüche und das unterschiedliche Reiseverhalten ist es heute wichtig, seine potentiellen Gäste so gut zu kennen, dass man sie mit dem richtigen Angebot ansprechen kann. Welche Wünsche und Sehnsüchte verbinden sie mit ihrem Urlaub, welche Motive führen zu einer Buchung, warum sind manche Destinationen stark nachgefragt, andere dagegen gar nicht?
Die Marktforschung bietet heute viele Wege, Informationen über Urlauber zu bekommen: Von der klassischen Gästebefragung über Trendbeobachtung bis zu tiefenpsychologischen Einzelinterviews persönlich oder online. Beispiele sind die Reiseanalyse der F.U.R. www.reiseanalyse.de oder das Zukunftsinstitut für Trend und Megatrendforschung von Matthias Horx https://thefutureproject.de/.
Urlaubsmotive
Klassische Urlaubsmotive, die für viele zutreffen, sind Erholung, Abstand zum Alltag oder Zeit mit der Familie/ mit Freunden verbringen. Bestimmte Urlaubertypen wollen etwas für ihre Fitness, Gesundheit tun (Sporturlaub, Cluburlaub); andere wollen Abenteuer erleben (fremde Länder kennenlernen, die noch nicht oder wenig erschlossen sind). Die nächsten wollen sich verwöhnen lassen (Wellnessurlaub) oder etwas Neues lernen (Kultururlaub, Studienreise). Und ein nicht zu vernachlässigendes Urlaubsmotiv ist die Festigung oder Steigerung des eigenen Status durch einen passenden Urlaub (Destination oder Leistungsträger mit entsprechendem Image).
Aber: Nicht jeder Ort oder jedes Hotel kann alle Motive bedienen – und sollte es auch nicht. Es gilt, die Wünsche, Vorstellungen und Sehnsuchtsbilder der Urlauber herauszufinden, darauf abgestimmte Produkte zu entwickeln und Urlauber gezielt im Marketing anzusprechen.
Die Sehnsuchtsbilder der Urlauber können in Form von passenden Bilderwelten transportiert werden, in animierenden oder auch beruhigenden Texten (je nach Motiv!) oder durch Blogs, die beispielsweise ein Reiseveranstalter anbietet. Urlaubsentscheidungen werden emotional, nicht rational getroffen – und das können Touristiker nutzen.
Positionierung und Image von Urlaubsorten und -anbietern
Vor allem für eine neue Positionierung oder eine Image-Auffrischung einer Destination oder eines Anbieters ist das Wissen über die Urlauber unglaublich wichtig.
In unserer Beratung starten wir immer mit Marktforschungsaktivitäten, führen oft eigene Befragungen durch und greifen auf Daten bekannter Institutionen zurück. Ein Fragekomplex an potentielle Gäste beschäftigt sich z.B. mit der jetzigen Wahrnehmung einer Destination oder Hotels – die Frage an den Auftraggeber lautet: „Wie soll sie oder es denn zukünftig wahrgenommen werden? Welche Urlauber sollen zukünftig hier buchen?“
Wir erarbeiten dann gemeinsam die passenden Urlaubertypen, z.B. auf Basis der „Sinus-Milieus“ oder der „GfK Roper Consumer Styles“ und beschreiben diese so tiefgehend wie möglich. Die Urlaubertypen können die jetzigen sein, aber auch die vom Auftraggeber gewünschten zukünftigen Urlauber.
Daraus kann dann eine Positionierung erstellt werden: Was für ein Bild soll im Kopf des Kunden entstehen, wenn er an diese Region oder jenes Hotel denkt? Wie sieht die Umgebung aus, welche anderen Urlaubertypen sind vor Ort, wie sehen die Geschäfte und das Freizeitangebot aus? Denken Sie an bestimmte Orte, von denen Sie annehmen, dass dort „nur alte Leute sind“ oder „dass sich dort viele Promis aufhalten“ – aber auch „im Schwarzwald tragen alle Frauen die traditionellen Hüte“ oder „auf Sylt ist alles teuer“.
Wenn ein touristisches Image bzw. die Positionierung verändert werden muss, weil neue Zielgruppen angesprochen werden sollen, sind natürlich umfassende infrastrukturelle und soziale Maßnahmen erforderlich. Alle Betroffenen müssen mitgenommen werden, Mitarbeiter geschult und externe Partner überzeugt werden. Das kann durch gut vorbereitete Runde Tische im Tourismus erfolgreich umgesetzt werden, wie bereits zum Thema Destinationsmanagement erläutert.
Beispiele für neue Positionierungen im Tourismus
Es gibt großartige Beispiele für eine erfolgreiche Neu-Positionierung, wovon nicht nur potentielle Urlauber nach wie vor profitieren, sondern auch Bürger, Einzelhandel und nicht zuletzt die öffentliche Hand, z.B. das Ruhrgebiet:
Früher das Image als Kohlestandort, dreckig, verstaubt, die Bevölkerung war verschrien als einfach und „Nordrhein-Vandalen“, brachten ihren Lohn aus der Zeche direkt in die „Bude“, die Trinkhalle oder in die Kneipe u.ä. Währnehmungen.
Heute positioniert sich das Ruhrgebiet erfolgreich als
(…) junges Reiseziel in Deutschland für beeindruckende Industriekultur, hochkarätige Kulturveranstaltungen und außergewöhnliche Erlebnisreisen. Ob ein Besuch des UNESCO-Welterbe Zollverein, eine Hochseilklettertour zwischen stillgelegten Hochöfen, Tauchen im Gasometer, SEGWAY-Touren auf Halden, Kunstmuseen mit weltbekannten Meisterwerken und renommierten Ausstellungen oder Restaurants in atemberaubenden Industriekathedralen: Die Metropole Ruhr ist ein überraschendes Reiseziel in Europa und eines der spannendsten Ausflugsziele in NRW!
Quelle: http://www.ruhr-tourismus.de
Weitere Beispiele sind St.Peter Ording (vom 1970er Jahre Familienbad zum coolen Surferstandort) oder das deutsche Jugendherbergswerk (DJH; von der ungemütlichen Herberge mit Bad auf dem Flur und Hagebuttentee zum Abendbrot sowie unfreundlichen Herbergseltern zum hippen und internationalen Jugendtreff und Reiseveranstalter für moderne aktive Familien). Bestimmt fallen Ihnen auch noch ein paar Beispiele ein – schreiben Sie im Blog mit!
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