Vier Vorteile, wie der Rückzug in die Stille uns in diesen Zeiten stärken kann

von Anke Lüneburg

„Wir leben hier im Norden unter einem großen Himmel: Die hellen Sommernächte, die uns berauschen; die lange Winternacht, die uns umschließt und uns dazu bringt, nach innen zu schauen, um zusammen zu sein.“

Die obenstehenden Worte stammen von der dänischen Königin Margarethe II – sie spricht mir mit Wohn- und Arbeitsort an der dänischen Grenze aus der Seele. Der Winter ist zum einen durch die Dunkelheit belastend – es wird spät hell und früh dunkel, den ganzen Tag muss das Licht eingeschaltet bleiben – und zum anderen können wir uns in die Stille zurückziehen, nachdenken, das Tun reduzieren und das Sein vergrößern. Manche Menschen nutzen dafür die Zeit „zwischen den Jahren“, andere haben genau dann viel zu tun mit Verwandtenbesuchen und dem Ausrichten von Feiern. Vielleicht ist der Januar ein viel besserer Monat, um in die Stille zu gehen? Selbst wer arbeitet, kann das tun: An den Wochenenden, an freien Tagen oder durch das Nutzen der Resturlaubstage. Nun ist die Frage: Was haben wir davon, uns zurückzuziehen? Und ist das für jeden geeignet?

  1. Der Rückzug in die Stille stärkt unsere Bindungen. So hat es auch Königin Margarethe im obigen Zitat beschrieben. Die beiden Pole soziale Zugehörigkeit und Freiheit/ Unabhängigkeit ergänzen und stärken sich gegenseitig. Jedoch können wir die Stille nur aushalten und als etwas Erholsames empfinden, wenn wir uns anerkannt, gesehen und wertgeschätzt fühlen. Wer grundsätzlich sich selbst mag und seinen Wert kennt, kann sich in der Stille mit seinen „blinden Flecken“, seinen versteckten Gefühlen wie Wut oder Enttäuschung und seinen stillen Wünschen und Bedürfnissen auseinandersetzen. Das Ergebnis sind verbesserte Beziehungen zu anderen: Familie, Freunde, Arbeitskolleginnen oder Führungskräfte. Und: Wir sind dann näher bei den anderen Menschen, da wir z.B. besser zuhören können.
  2. Der Rückzug in die Stille stoppt unsere Unruhe und zeigt uns Verpflichtungen, die nicht mit unseren Bedürfnissen übereinstimmen. Gerade vor und zwischen den Feiertagen sind viele Menschen rastlos: Die „Jahresendhektik“ kennen wir schon viele Jahre: Am Arbeitsplatz muss alles unbedingt noch vor Weihnachten erledigt werden. Entgegen unserer Planung, in Ruhe Weihnachten zu feiern, klappern wir doch die Verwandten ab oder laden Freunde ein. Wir wollen die Erwartungen anderer erfüllen, wollen „brav“ sein, gemocht und geliebt werden. Die Erfüllung der Bedürfnisse anderer, die nicht den eigenen entsprechen, führt jedoch zu innerer Wut, Ärger und Unzufriedenheit, die man nicht zeigen möchte. Gleichzeitig ist die dringend notwendige Erholung nicht möglich, sondern man kehrt Anfang Januar genauso erschöpft an den Arbeitsplatz zurück, wie man ihn im Dezember verlassen hat. Wenn wir es also schaffen, uns zurückzuziehen (auch gemeinsam mit Lebenspartnern und der Familie möglich, wenn man sich über das Ziel der Ruhe einig ist), schöpfen wir Kraft durch Stille. Das muss kein Kloster-Retreat sein: Wald- oder Strandspaziergänge, das Lesen eines Buchs, das Sitzen vor einem Kaminofen oder einfach das Ausruhen auf dem Sofa mit ein wenig Musik. Dann kommen wir unseren eigenen Bedürfnissen nach und lösen uns bewusst aus ungeliebten Verpflichtungen, was zum Erwachsenwerden dazu gehört. Und: Aus Ver-Spannung und An-Gespannt-Sein wird Ent-Spannung.
  3. Der Winter eignet sich besonders für die Stille. Auch hier haben wir wieder Pole, die auf uns wirken: Draußen die Kälte (hoffentlich), drinnen die Wärme, vielleicht sogar ein echtes Feuer; draußen Sturm, Regen oder Schnee, drinnen das wunderbare Gefühl, trockene Kleidung anzuziehen und zu spüren, wie der Kopf klar wurde und die Haut sich erwärmt. So kann die Stille, die der Reflexion dient, auch ein Gegenpol zum Lärm an den Feiertagen sein, z.B. Silvester. So können wir uns über ein tolles – professionell durchgeführtes – Feuerwerk freuen, um das neue Jahr zu begrüßen, und in den Stunden zuvor allein oder mit wenigen lieben Menschen über das vergangene Jahr reflektieren sowie Wünsche und Hoffnungen zum neuen Jahr äußern. Aus eigener Erfahrung mit meiner Familie und ein oder zwei Freunden weiß ich, wie wohltuend das ist. Wir stellen uns mit Hilfe von Fragekarten Fragen zum vergangenen und zum kommenden Jahr und genießen die Zeit des Nachdenkens und des Austauschs.
  4. Die Voraussetzung zum Rückzug ist ein gutes Selbstwertgefühl. Wer sich in die Stille zurückziehen möchte, braucht innere Stabilität, um sich durch sich selbst geschützt zu fühlen. Wir wissen, dass Lärm krank macht – aber die Nicht-Fähigkeit, in die Stille zu gehen, ebenfalls. Wie oben beschrieben, ist die Balance zwischen den zwei Polen wichtig, um gesund zu bleiben. Wenn wir viele negative Gedanken, Sorgen und Ängste haben, die uns im Kopf herumschwirren, ist die Stille schwer auszuhalten. So vermeiden viele Menschen die Stille, um keine Angst zu spüren und sich nicht mit unerwünschten Gedanken wie „Lebe ich das Leben, was ich leben will?“ auseinanderzusetzen. Wer es jedoch schafft, sein Selbstwertgefühl zu erhöhen und seine Gedanken zu stabilisieren – mit oder ohne Unterstützung – wird einen Rückzug in die Stille positiv erleben und nutzen. Dann entstehen eine innere Gelassenheit, Zuversicht und Lebensfreude – etwas, was wir alle in diesen Zeiten gut gebrauchen können.

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